BESONDERE*MISSION #1
Abschaffung der Deutschförderklassen und MIKA-D-Testungen
Kritik an den Deutschförderklassen gab es seit deren Einführung 2018. Bis heute hallt sie ununterbrochen durch die Gänge des Bildungsministeriums. Doch hören will sie dort niemand. Nach der vom Bundesministerium selbst in Auftrag gegebenen Studie 20221 verstärken sich die Rufe für die Abschaffung der Deutschförderklassen und der Mika-D-Testungen; das Bundesministerium stellt weiterhin auf taub.
"Das kann nicht funktionieren"
(schreibt C. / Pflichtschullehrerin in Wien)
Das Festhalten an den Deutschförderklassen macht eindeutig sichtbar, dass die gegenwärtige österreichische Bildungspolitik keinerlei Interesse hat, nachhaltige pädagogische Lösungen zu finden, die auf einen sozialen Ausgleich und Antidiskriminierung abzielen - im Gegenteil. Außerdem steht das Deutschförderklassen-Modell für ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie die ÖVP-Grünen-Politik die Kritik von Lehrer:innen, Wissenschafter:innen und Menschenrechtsexpert:innen bewusst ignoriert.
Mehrsprachige Kinder erfahren verstärkt und auf vielfältige Weise Diskriminierung in der Schule. Vor der Implementierung des Deutschfördermodells konnten Sprachförderlehrer:innen die Kinder mit einem außerordentlichen Status über längere Zeit beobachten und eine individuelle Sprachförderung ausarbeiten. Jetzt wird dieser komplexe und professionelle Prozess von einem Test übernommen. "Das MIKA-D-Testformat zielt nicht darauf ab, individuelle Schwierigkeiten besser zu erkennen und daran unterstützend arbeiten zu können, sondern führt lediglich dazu, dass Kinder – unabhängig von ihrem Eifer, ihren Interessen und dem, was sie zu sagen haben oder was sie hören wollen – abgewertet werden, wenn sie das Verb in einem deutschen Satz an die falsche Stelle setzen."2
Werden die Deutschkenntnisse eines Kindes als "nicht ausreichend" klassifiziert, dann muss dieses Kind 15 bis 20 Wochenstunden eine separate Deutschförderklasse besuchen. Bis auf wenige Stunden im Turn- oder Zeichenunterricht darf es nicht am normalen Unterricht teilnehmen. Im schlimmsten Fall erhält das Kind bis zu zwei Jahre lang keinen regulären Unterricht in Mathematik, Geschichte, Englisch etc. Darüber hinaus werden die Kinder in den Deutschförderklassen in unterschiedlichen Altersgruppen mit teils sehr unterschiedlichen Sprachniveaus unterrichtet. Eine Umfrage der Universität Wien, an der 1.300 Lehrer:innen teilnahmen, macht eine klare Kritik aus der Praxis hörbar: "Die Kinder erfahren soziale Ausgrenzung, die Klassen sind mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersgruppen und mit verschiedenen Sprachkenntnissen durchmischt und viel zu groß. Für das spielerische Lernen fehlen gleichaltrige Mitschüler mit Deutsch als Muttersprache. Außerdem hat ein Großteil der Pädagogen keine Ausbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache."3 Zu diesem enormen Leidensdruck bei den Betroffenen, "ist es eine pure Überforderung für eine Klassenlehrerin, diesen Ansprüchen gerecht zu werden, es ist schlichtweg unmöglich!"4
Für erfolgreiche Sprachförderung braucht es möglichst kleine Gruppen und integratives Lernen, das von Zusatzangeboten begleitet wird. Die Behauptung, die spezielle Deutschförderung in separierten Klassen solle Kindern den Spracherwerb erleichtern und eine schnelle Integration fördern, läuft ins Leere, wenn bildungswissenschaftliche Studien und praktische Erfahrungen gegenteiliges bestätigen. "So erweist sich empirisch die Verschränkung von integrativen und getrennten (additiven) Elementen effektiver im Hinblick auf den Zweitspracherwerb zugewanderter Schüler:innen, zugleich wird dadurch auch eine Unterbrechung ihrer fachlichen Entwicklung vermieden. Sprachstruktur und Wortschatz werden rascher erworben, wenn sie für die Bewältigung des fachlichen Lernalltags gebraucht werden." Es kommt zu einem sprachlichen Austausch "mit gleichaltrigen, in der Unterrichtssprache kompetenten, Peers"5, was zugleich die soziale Integration im Gruppenverband stärkt.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft führte schon 2018 an, dass die dauerhafte Segregation von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache weder "dem Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern", noch "dem Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie den Bildungszielen der Artikel 27 und 28 der UN-Kinderrechtskonvention"6 entsprechen.
Das Deutschfördermodell zeichnet nicht nur einen eklatant schlechten Weg für den Spracherwerb vor, sondern produziert in der Praxis ausschließlich Benachteiligung, Defizitorientierung und Stigmatisierung. Es nimmt den Kindern ihr Recht auf ein diskriminierungsfreies Leben, auf Wertschätzung und freie Entfaltung.
Wir Lehrer:innen wollen das NICHT unterstützen.
Auf Grundlage des Forschungs- und Erfahrungswissens verlangen wir die sofortige Abschaffung der Deutschförderklassen sowie der MIKA-D-Testungen und unterstützen die Forderungen jener Organisationen, die sich seit vielen Jahren für eine diskriminierungsfreie Schule einsetzen:
# Forderungen an die Bildungs- und Integrationspolitik: Netzwerk Sprachenrechte
# Forderungen der Elterninitiative BessereSchuleJetzt
# Kritischen Stellungnahmen zum Separierungsgesetz des Bildungsministeriums: SOS Mitmensch
# AK-Sprachschlüssel zur Förderung der Bildungssprache Deutsch: Arbeiterkammer Wien
# Petition: Lasst Kinder gemeinsam lernen!. Initiiert von Zahlreichen Lehrpersonen und Bildungsexpert*innen
- *Evaluation der Implementierung des Deutschfördermodells an den Schulen Österreichs: BMBWF (https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:2ba5ac1e-3be9-4dd2-8d04-c2465169e726/deutschfoerdermodell_eval.pdf)
- *Stellungnahme zum Einsatz von MIKA-D (Messinstrument zur Kompetenzanalyse – Deutsch): Netzwerk SprachenRechte und der ÖdaF (https://www.oedaf.at/dl/NpkNJKJmKMJqx4KJK/Stellungnahme_MIKA-D_NWSR_OeDaF_final.pdf)
- *Deutschförderklassen funktionieren nicht: 80 Prozent der Lehrer sind gegen getrennten Unterricht (https://kontrast.at/deutschfoerderklassen-kritik/)
- *Es gab eine Zeit, da…hatten wir mehr Freude am Lehrberuf (https://www.bessereschule.jetzt/geschichte-einer-lehrerin-thema-deutschfoerderung/)
- *Fünf Bildungsmythen und der Stillstand im System: Abteilung Bildungspolitik der AKWien (https://awblog.at/fuenf-schaedliche-bildungsmythen/?jetztlesen=)
- *Stellungnahme der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs zu Deutschförderklassen: Kinder- und Jugendanwaltschaft (https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180412_OTS0023/stellungnahme-der-kinder-und-jugendanwaltschaften-oesterreichs-zu-deutschfoerderklassen)