Niemand kennt sich aus

18.09.2023

Das Schulsystem wird von vielen als komplett intransparent empfunden wird. Wer kriegt warum eine Stelle und wer nicht? Nach welchem Schema läuft die Entlohnung? Welche Vordienstzeiten werden angerechnet? Wann bekomme ich endlich einen Vertrag? Eine wütende Lehrerin berichtet:

Fachfremdes Unterrichten an den Mittelschulen

Ich unterrichtete ein Jahr lang an einer Mittelschule in NÖ Fächer, in denen ich nicht geprüft war und die ich teilweise auch gar nicht unterrichten KONNTE, vor allem Musik: Ich spiele kein Instrument, ich kann keine Noten lesen und ich kann nicht singen! Das habe ich auch so erklärt und meine Sorge ausgedrückt, aber ich musste es trotzdem unterrichten. Es hieß nur: An unserer Schule ist sowieso niemand in Musik geprüft, das unterrichten eh alle fachfremd. Dass ich den Schüler:innen selbstverständlich keinen qualitativ hochwertigen Unterricht bieten konnte, liegt auf der Hand. Meiner Meinung nach gehört vor allem dieses Thema mehr an die Öffentlichkeit getragen, da mit Sicherheit 99% der Eltern davon ausgehen, dass die Lehrperson ihres Kindes in dem jeweiligen Fach ausgebildet ist. Themen, die nur Lehrer:innen betreffen (Anrechnung der Vordienstzeiten, Verträge…) interessieren die Allgemeinheit vermutlich wenig, aber dies ist schließlich ein Thema, das die Bildung der Schüler:innen betrifft und wo es einen Aufschrei geben könnte und sollte. Meiner Meinung nach sollte, wie auch in den AHS, fachfremdes Unterrichten komplett verboten werden oder nur in absoluten Ausnahmefällen (!!) erlaubt sein. Dazu bräuchte es allerdings vorher schon wichtige Schritte, etwa Bedarfserhebungen, wie viele Lehrkräfte ca. in den nächsten Jahren in welchen Fächern gebraucht werden. Dann sollten nur so viele Personen zum Lehramtsstudium zugelassen werden, wie notwendig. Gleichzeitig müssten Mangelfächer gezielt beworben werden. Oder: Generell muss einfach viel mehr Information für Studienanwärter:innen her: Wie sehen die Chancen aus, mit den jeweiligen Fächern eine Anstellung zu bekommen? Welche Fächer sind gefragt, welche nicht so? Bis dato gibt es hierzu absolut keine gesicherten Informationen. Ich weiß nicht, ob ich Französisch und Spanisch studiert hätte, wenn ich damals gewusst hätte, wie schwierig es werden würde, eine gesicherte Stelle zu finden. Alles, was ich damals dazu wusste, war: Sprachen sind die Zukunft, Sprachen sind immer gut. Dass auch tausende andere auf der Romanistik meine Fächer studieren und auch abschließen würden (das Studium ist eher leicht, vor allem Spanisch), wusste ich damals nicht. Und dass nicht in allen Schulformen und Schulstufen eine zweite lebende Fremdsprache unterrichtet wird, ist einem nicht bewusst, wenn man selbst aus einem sprachlichen Gymnasium kommt.


Anrechnung der Vordienstzeiten

Es ist absolut intransparent und unlogisch, nach welchen Kriterien Vordienstzeiten angerechnet werden. Eigentlich sollte die Facheinschlägigkeit das einzige Kriterium sein und nicht, ob man bei Bund, Land, Gemeinde oder eben einer privaten Firma tätig war. In Niederösterreich wurden mir zumindest am Ende meines (ersten und einzigen) Unterrichtsjahres meine 2 Jahre als Sprachassistentin im Ausland zu 75% als Vordienstzeiten angerechnet. Nun hab ich bereits das 3. Dienstjahr in Wien begonnen und habe noch immer nicht erfahren, ob bzw. was mir angerechnet wird. Ich kann also nur hoffen, dass Wien es gleich macht wie NÖ, aber wissen kann ich es nicht. Meiner Meinung nach gehören einheitliche Regelungen für die Anrechnung von Vordienstzeiten her, die für alle Bundesländer gelten!


Verspätetes Ausstellen der Verträge

In Niederösterreich bekam ich meinen befristeten Vertrag zumindest am Ende meines ersten und einzigen Unterrichtsjahres zugestellt, also im Juni. Nun habe ich aber mein bereits 3. Dienstjahr an einer HAK in Wien begonnen und habe noch immer keinen Vertrag gesehen. Allen meinen Kolleg:innen, die zugleich mit mir begonnen haben, geht es gleich. Mit Ausnahme derjenigen, die bereits auf einen unbefristeten Vertrag umgestellt wurden. Also offenbar bekommt man erst dann einen Vertrag zu Gesicht, wenn man von befristet auf unbefristet umgestellt wird. Wenn ich jetzt umziehen würde, könnte ich beim neuen Vermieter nicht einmal einen Arbeitsvertrag als Beweis meiner Liquidität vorweisen. Selbst als ich die Bildungspreise von Apple beim Kauf meines iPads für den Unterricht nutzen wollte, wusste ich nicht, wie ich eigentlich nachweisen soll, dass ich unterrichte. Man hat einfach gar nichts in der Hand! In der Privatwirtschaft wäre es unvorstellbar, dass ein Unternehmen seine Mitarbeiter:innen jahrelang ohne Arbeitsvertrag beschäftigt, aber beim Bund/Land ist es offenbar in Ordnung.


Ausufernder Föderalismus und keine Anrechnung der Dienstjahre zwischen den Bundesländern

Dies führt schon zu meinem nächsten Thema: Dieses Schuljahr 2023/24 ist nun bereits mein 4. Dienstjahr. Allerdings zählt mein 1. Dienstjahr in NÖ offenbar für Wien nicht, was das Warten auf den unbefristeten Vertrag betrifft, da es ein anderer Dienstgeber ist: Ich habe ja von der Mittelschule in NÖ (BD NÖ, beim Land angestellt) zur HAK in Wien (BD Wien, beim Bund angestellt) gewechselt. Es ist absurd, dass in einem kleinen Land wie Österreich einige Kilometer Luftlinie zwischen meiner ehemaligen Schule in NÖ und der aktuellen Schule in Wien zur Folge haben, dass ich wieder bei 0 beginne. Meiner Meinung nach sollten nach einem Wechsel zwischen Bundesland und Dienstgeber:in Dienstjahre ausnahmslos angerechnet werden, nicht nur als Vordienstzeiten sondern auch was das Dienstalter betrifft! Alles andere ist komplett lächerlich.


Wegfall des Unterrichtspraktikums und Sprung ins kalte Wasser

Durch den Wegfall des Unterrichtspraktikums, in dem man früher 1 Jahr lang von zwei Lehrern begleitet je eine Klasse pro Fach unterrichtete, muss man nun direkt ins kalte Wasser springen, wenn man zu unterrichten beginnt. Es gibt zwar die sogenannte Induktionsphase. In dieser unterrichtet man aber oft bereits Vollzeit (in meinem Fall bin ich sogar mit Mehrdienstleistungen, also Überstunden, gestartet. Ich hatte 25 gehaltene Unterrichtsstunden in meinem 1. Dienstjahr) und muss nebenher noch 6 Seminare an der Pädagogischen Hochschule besuchen, die leider sehr theoretisch und alles andere als hilfreich für den Berufsalltag sind. Man bekommt zwar außerdem eine(n) Mentor:in zugeteilt, diese Person muss aber weder an der selben Schule, noch die selben Fächer unterrichten. Dies führte in meinem Fall zu der an Absurdität nicht mehr zu überbietenden Situation, dass ich fachfremd Deutsch, Geographie, Musik und Informatik an einer Mittelschule in NÖ unterrichtete, meine Mentorin aber an einer anderen, ca. 30km entfernten Schule Mathematik unterrichtete und außerdem aufgrund sehr strenger Corona-Regelungen nicht einmal mein Schulhaus betreten durfte!! Alles was ich von ihr an Unterstützung erhielt, waren drei verzweifelte Anrufe meinerseits (ihre Reaktion auf meine Probleme: Tu dir nicht so viel an!) und 1-2 virtuelle "Unterrichtsbesuche" im Distance Learning über MS Teams, auf die sie ihre Beurteilung meiner Induktionsphase stützte. Professionalisierung und Ausbildung von Lehrkräften sieht anders aus! Kein Wunder, dass viele Junglehrer:innen am Anfang ihrer Laufbahn schon aufgrund von Überforderung das Handtuch werfen und diesem "Klasse Job" den Rücken kehren.


Erhebliche Verschlechterungen im "neuen Vertrag", also im PD-Schema

Zu guter Letzt ein paar Punkte, in denen das PD-Schema eine eindeutige Verschlechterung gegenüber dem alten Vertrag darstellt:

  • Es sind mehr Unterrichtsstunden zu halten. Aufgrund höherer Wertigkeit musste man mit Schularbeitsfächern früher oft nur 17-18 halten und jetzt 20. Mit Nebenfächern sind es 22. Hinzu kommen noch 2 sogenannte PD-Stunden, die für allfällige Tätigkeiten wie Kustodiate, Bibliotheksdienst oder dergleichen vorgesehen sind. Dadurch steigt die eh schon hohe Arbeitsbelastung noch einmal enorm, vor allem in Schularbeitsfächern. Wenn man dann obendrein noch wirklich guten Unterricht bieten möchte, arbeitet man sich früher oder später ins Burnout. Schließlich muss man guten Unterricht auch irgendwann vorbereiten und dazu fehlt dann die Zeit. Vielen werden ja außerdem auch sogenannte Mehrdienstleistungen (Überstunden) aufgehalst. Eine bestimmte Anzahl von MDLs muss man nämlich akzeptieren. Selbst wenn es darüber hinausgeht und man z.B. 28 Stunden in einem Schularbeitsfach halten muss, traut man sich als Junglehrer:in kaum sich dagegen wehren, solange man nur einen befristeten Vertrag hat. An meiner Schule standen mehrere Deutschkolleg:innen deswegen kurz vorm Burnout. Lauter junge, engagierte Lehrpersonen, die erst seit 1-4 Jahren im Dienst sind und einfach nicht mehr können, weil sie nicht wissen, wann sie das alles korrigieren sollen. Wie gesagt, dann noch qualitativ hochwertigen, abwechslungsreichen, ansprechenden Unterricht zu bieten, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

  • Es ist nicht sehr klar, wofür die 2 PD-Stunden nun verwendet werden dürfen. Angeblich nicht fürs Unterrichten, trotzdem werde ich heuer das erste Mal eine unverbindliche Übung mit 1 PD-Stunde unterrichten. In welcher Zeit ich diesen Unterricht vorbereiten soll, erschließt sich mir nicht. Wenn man an meiner Schule etwa Bibliotheksdienst hat, muss man ja nichts dafür vorbereiten, aber bei einer unverbindlichen Übung ja schon. Also der zeitliche Aufwand der verschiedenen Einsatzmöglichkeiten der PD-Stunden ist sehr unterschiedlich.

  • Früher bekam man einen Klassenvorstand extra finanziell abgegolten (wenn auch nicht sehr gut), jetzt wird für die Tätigkeit als KV einfach nur 1 PD-Stunde hergenommen. Da die Bürokratie immer überbordender wird und auch pädagogisch heute viel mehr Arbeit zu leisten ist als früher, sind sich an meiner Schule alle KVs einig: Die Arbeit als KV nimmt wesentlich mehr Zeit in Anspruch als 1 Stunde pro Woche.

  • Unterrichtsstunden in der Abendschule wurden früher ab einer bestimmten Uhrzeit besser bezahlt, auch das ist mit dem PD-Schema Vergangenheit. Ob ich jetzt um 8 Uhr oder um 21 Uhr in der Klasse stehe, ich kriege dasselbe dafür bezahlt.

Wütende Lehrerin aus Wien